Raue Schale – weicher Kern

Wie die Menschen, so auch ihr Getreide. Die Gewächse der Schwäbischen Alb sind hart im Nehmen und wirken nach außen gelegentlich etwas karg und spröde. Doch ist die raue Schale erst mal überwunden, entfaltet sich ein herzhafter Genuss. Das gilt auch für den Dinkel, das Urkorn der Schwaben. Er wird von der Schwäbischen Alb-Dinkel GmbH erfolgreich vermarktet

Man muss schon etwas lauter sprechen, wenn man sich in der Mühle der Mühlengenossenschaft Römerstein unterhalten will. Denn hier rumpeln ohne Unterlass die Walzenstühle, in denen der Alb-Dinkel gemahlen wird. Heinz Lethen kontrolliert durch die Sichtfenster, ob alles den gewohnten Gang nimmt. Dinkel (lat. Triticum spelta) und Weizen (lat. Triticum aestivum) haben in Emmer und Einkorn  die selben Vorfahren und gehören zur Familie der Süßgräser. Es gibt Mischformen zwischen Weizen und Dinkel. Hochleistungsweizen hat jedoch keine genetischen Gemeinsamkeiten mehr mit den alten Dinkelsorten. Dinkelkörner sind von einem rauen Spelz umgeben, der vor dem Mahlen in einem zusätzlichen Arbeitsschritt – dem Gerbgang – vom Korn getrennt werden muss. Zudem ist der Dinkel bei weitem nicht so ertragreich wie der Weizen der modernen Landwirtschaft. Das sind die Gründe, warum Dinkel im Laufe der vergangenen Jahrhunderte fast vollständig von den Äckern verdrängt wurde.

Doch historisch gesehen ist das Schwabenkorn, wie der Dinkel auch genannt wird, von den rauen Hochflächen der Schwäbischen Alb nicht wegzudenken. Funde zeigen, dass der Dinkel schon in der Jungsteinzeit in Mittel- und Nordeuropa angebaut wurde. Vor allem im Alpenraum und in den Mittelgebirgen konnte sich das robuste Getreide gut entwickeln. In Baden-Württemberg ist der Dinkel etwa 3000 vor Christus heimisch geworden. Im 18. und 19. Jahrhundert war Dinkel eines der wichtigsten Handelsgetreide im Süddeutschen Raum. Bei drohenden Missernten durch Unwetter gingen die Menschen früher auch dazu über, den noch unreifen Dinkel zu ernten und zu trocknen. In Wasser gekocht ergab dieses als Grünkern bekannte Korn nahrhafte Suppenbeilagen. Noch heute wird ein Teil des Dinkels in unreifem Zustand geerntet, zur Haltbarmachung getrocknet und vor der Weiterverarbeitung gegerbt. Grünkern ist als ganzes Korn oder geschrotet ein schmackhafter Bestandteil von Suppen oder Bratlingen. Und auch die moderne Ernährungswissenschaft hat mittlerweile nachgewiesen, dass die alten Dinkelsorten einen hohen Anteil an wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen besitzen, die vom Körper sehr gut aufgenommen werden können.

Dass der Dinkel ein ganz besonderes Getreide ist, wusste schon die Mystikerin Hildegard von Bingen. Das medizinische Werk der berühmten Äbtissin ist im Original nicht bekannt, jedoch wurden durch Handschriften aus dem 13. und 15. Jahrhundert Teile ihres Werkes überliefert. Darunter auch die sogenannte „Physica“, in der die Heilkräfte von rund 500 Pflanzen, Tieren und Edelsteinen beschrieben sind, darunter auch der Dinkel: „Dinkel ist das beste Getreide, fettig und leichter verdaulich als alle anderen Körner. Es verschafft dem, der es isst, ein rechtes Fleisch und bereitet ihm ein gesundes Blut. Die Seele des Menschen macht es froh und voll Heiterkeit.“ Hildegard von Bingen zählt insgesamt 17 Vorzüge des Dinkels gegenüber anderen Nahrungsmitteln auf. Nicht alle davon sind wissenschaftlich erwiesen. Es gibt zudem kritische Stimmen die in Frage stellen, ob Hildegard mit der Bezeichnung „Spelta“ wie es in den Überlieferungen heißt, tatsächlich den Dinkel gemeint hat, oder damit vielleicht eine andere Spelzgetreideart wie Emmer oder Einkorn beschrieb. Unstrittig ist aber, dass der Dinkel ein ernährungswissenschaftlich empfehlenswertes Getreide mit einer besonderen Geschmacksnote ist.

Dieser Meinung ist auch Heiner Beck aus Römerstein. „Seit 20 Jahren habe ich den Traum, dass alle Zutaten, mit denen ich arbeite, von der Alb kommen“, erzählt der Bäckermeister. Ständig probiert er neue Ideen aus, „dabei geht auch mal was in die Hose.“ Doch mit Dinkel hatte er Erfolg. 2003 gründete er gemeinsam mit dem Nudelhersteller Klaus Freidler eine GmbH, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Anbau von Dinkel in der Region Schwäbische Alb wirtschaftlich zu stärken. Unter dem Logo Schwäbischer Alb Dinkel übernimmt die GmbH die Vermarktung von Dinkelprodukten und stellt mit Hilfe strikter Erzeugerrichtlinien sicher, dass der Anbau von Dinkel „kontrolliert naturnah“ erfolgt. Dafür verpflichten sich die teilnehmenden Landwirte, auf chemische Unkrautbekämpfung zu verzichten. Am Rand der Felder muss ein sogenannter Ackerrandstreifen verbleiben in dem bestimmte Blüten ausgesät werden, damit Kleinlebewesen wie Schmetterlinge und Laufkäfer einen Lebensraum finden. Die regionale Verarbeitung des Getreides verhindert einerseits lange Transportwege. Das kommt sowohl der Umwelt als auch der Qualität des Getreides zugute. Zudem erhält das Konzept die Arbeitsplätze und stärkt die heimische Landwirtschaft mit ihrer Genossenschaftsmühle. Die Schwäbische Alb Dinkel GmbH hat mittlerweile zahlreiche Partner und vermarktet den Dinkel in Form von fast 100 unterschiedlichen Produkten vom Dinkelkeks bis zum Dinkelspelzkissen, vom Dinkelbrot bis zum Dinkelbier. Mit dem Siegel „Schwäbischer Alb-Dinkel“ bürgt die GmbH für Qualität und Echtheit des Dinkelrohstoffes. Seit fünf Jahren läuft zudem alles unter Biozertifikat. Traugott Götz, Vorsitzender der Mühlengenossenschaft Römerstein ist überzeugt: „Unsere kleine Mühle wurde durch die Umstellung auf Bio und durch die Alb Dinkel GmbH gerettet. Es ist vor allem Heiner Beck zu verdanken, dass es uns noch gibt.“ Die Mühlengenossenschaft mahlt jährlich etwa 300 Tonnen Dinkelmehl für den Bäckermeister und seine GmbH-Partner.

Dinkel ist auf dem Feld ein robustes Getreide. Er ist anspruchslos und gedeiht bestens auf den kargen Böden der Schwäbischen Alb. Geschützt durch seinen Spelz ist er unempfindlicher gegen Schadstoffe, Umwelteinflüsse und Krankheiten als der Weizen. Daher ist er vor allem auch im Biobereich so beliebt, da auf Spritzmittel verzichtet werden kann. Doch nach dem Gerben und Mahlen braucht man für die Verarbeitung des Mehls ein bisschen Fingerspitzengefühl. Dinkelmehl ist reich an Mineralstoffen und Vitaminen und hat einen hohen Gehalt an Klebereiweiß, der den Teig geschmeidig macht. Jedoch macht das den Dinkelteig auch empfindlich gegen Überkneten. Hat der Dinkelteig nicht genug Zeit, die Flüssigkeit aufzunehmen, wird das Gebäck schnell trocken und spröde. Daher ist es wichtig, den Teig lange gehen zu lassen und ausreichend Wasser zum Teig zu geben. Weil der Teig dann unter Umständen leichter zerfließt empfiehlt es sich, Dinkelbrote in eine Brotbackform zu backen.

Und auch in der Mühle bei Müllermeister Lethen möchte der Dinkel mit Sorgfalt behandelt werden. „Wenn der Alb-Dinkel kommt, müssen wir die Leistung unserer Mühle um gut ein Viertel drosseln, sonst verklebt das feine Mehl die Siebe“ erzählt er. Hinzu kommt, dass die Mühle den Landwirten für Dinkel doppelt so viel zahlt wie für Weizen. Denn Dinkelsaatgut kostet den Landwirt mehr und der Ertrag ist deutlich geringer. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Dinkelmehl für den Verbraucher teurer ist, als Weizenmehl. Dass sich diese Investition lohnt, zeigt der immer größer werdende Kreis der Dinkel-Liebhaber. Die Walzenstühle der Genossenschaftsmühle in Böhringen haben jedenfalls viel zu tun und rumpeln munter weiter.

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