Professor Achim Spiller, Leiter des Lehrstuhls „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ der Universität Göttingen, sieht das Problem nicht nur bei Bio: „Das Thema Lebensmittel ist für Jugendliche grundsätzlich nicht interessant. Welcher Sechzehnjährige beschäftigt sich schon gedanklich mit gesunder Ernährung?“ Die Wissenschaftler aus Göttingen haben in einer eigenen Studie zwei Gruppen von Bio-Kunden ermittelt. Zum einen diejenigen, die Bio schon aus dem Elternhaus kennen. Bei dieser Gruppe verläuft die Orientierung zu ethisch und gesundheitlich korrektem Konsum in zwei Phasen ab. In der ersten Phase, kurz nach dem Verlassen des Elternhauses, ist Bio auch hier tatsächlich kein Thema. In dieser Zeit geht es eher um schnelle, günstige, unkomplizierte Mahlzeiten. In einer zweiten Phase besinnen sich diese Menschen häufig wieder auf den Biokonsum. Das liegt oft auch an einer gewissen Umbruchssituation der Lebensumstände. Diese Umbruchsituationen sind auch das Stichwort für die zweite Gruppe der Bio-Kunden. Das sind die Menschen, die Bio nicht von den eigenen Eltern kennen. Auch bei dieser Gruppe gilt: Wenn sich die Lebensphasen ändern, ändert sich häufig das Konsumverhalten. Professor Spiller fasst die Umbruchsituationen zusammen: „Das erste bessere Gehalt, die erste Lebensgemeinschaft, das erste Kind. Das sind die Schlüsselsituationen, in denen ein Mensch reflektiert, wie er lebt und was er isst.“
Sind dann die Jugendlichen und jungen Erwachsenen keine Zielgruppe, die es wert wäre, beworben zu werden? „Man muss die Leute genau in diesen Umbruchsituationen erwischen und mit seinen Botschaften erreichen,“ widerspricht Spiller. Und erreicht würden die jungen Leute nicht mittels Marketing, das auf den Geschmack abzielt. Doch genau dieses Geschmacksmarketing sei zur Zeit gängige Praxis bei den Bio-Produzenten. „Jugendliche brauchen ein Szenemarketing,“ erklärt der Professor. „Das Marketing muss einen Trend setzen, den Puls der Zeit treffen.“ Die Jugend brauche emotionale Botschaften wie nicht artgerecht gehaltene Tiere, um sich bewusst dafür zu entscheiden, nicht mehr Teil des Problems, sonder Teil der Lösung des Problems zu sein. Würden zudem noch weitere Schlagworte der Jugendszene bedient, wie zum Beispiel das Netzwerken im Sinne von: „Gemeinsam sind wir stark und in Kooperation schaffen wir alles“, und würden bekannte Idole wie Popstars oder Schauspieler Vorbildfunktion übernehmen, dann könne die Biobotschaft auch bei den Käufern von morgen ankommen.
Professor Ulrich Hamm, Leiter des Fachgebietes „Agrar- und Lebensmittelmarketing“ der Universität Kassel-Witzenhausen betrachtet das Konsumverhalten Jugendlicher von einer anderen Seite: „Jugendliche gehen nicht in den Laden und kaufen Kartoffeln oder Salat,“ erklärt der Wissenschaftler, „Jugendliche kaufen sich von ihrem Taschengeld Süßigkeiten und Chips. Und wenn es so etwas in Bioqualität zu einem erschwinglichen Preis gäbe, dann würden junge Leute auch Bio kaufen“, ist Hamm überzeugt. Der Lösungsansatz aus Witzenhausen zielt in eine ganz spezielle Richtung: „Wenn Handelsunternehmen bei Bio-Süßigkeiten anders kalkulieren würden, wäre Bio auch für die Jugend attraktiv.“ Professor Hamm empfiehlt den Bio-Händlern eine Mischkalkulation: „Produkte, die sich Jugendliche selbst kaufen, sollten sehr knapp kalkuliert werden, dafür könnte man zum Beispiel hochwertige Schokoladen, die eher die Eltern oder Großeltern kaufen, höher kalkulieren.“ Und in einem Punkt ist sich Hamm ganz sicher: „Naturkostläden schrecken Jugendliche ab. Wenn Bioprodukte die jungen Menschen erreichen sollen, muss es diese Produkte dort geben, wo junge Menschen sind: in Discountern, in Kinos, in Discotheken, am Kiosk.“ In mehreren wissenschaftlichen Arbeiten hat die Witzenhausener Forschergruppe um Hamm herausgefunden, dass sich Jugendliche sehr wohl für Bio und Fair Trade interessieren. „Jugendliche haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Themen wie die faire Behandlung von Menschen und der artgerechte Umgang mit Tieren kommen auf jeden Fall an. Was nicht ankommt, ist das Argument, Bio sei gesund.“ Ulrich Hamm geht sogar noch weiter: „Vor allem für junge Leute, die aus einem Biohaushalt kommen, gilt die Gleichung: Bio = gesund = schmeckt nicht.“
Das haben einige Hersteller von Bio-Produkten mittlerweile erkannt. Der Produktmanager des Erfrischungsgetränkes „bios“, Stefan Gehrke, bringt es auf den Punkt: „Der Gesundfaktor zieht nicht bei Kindern. Und da Kinder und Jugendliche unsere Hauptzielgruppe sind, haben wir diese Information über unser Getränk mittlerweile nicht einmal mehr vorne auf den Flaschen abgedruckt, sondern hinten. Denn wir wollen zwar die Eltern ansprechen, aber trotzdem die Jugend damit nicht verprellen.“ Jugendliche wollten ernst genommen werden, weiß der Marketingspezialist. Deshalb präsentiert sich das Erfrischungsgetränk schnörkellos, ernsthaft und überhaupt nicht verspielt. Für die Zukunft plant die Herstellerfirma, der eingeschlagenen Linie treu zu bleiben. „Unser Produkt ist noch stark im Wachstum begriffen, das ist der falsche Zeitpunkt für Änderungen,“ erläutert Gehrke. Nur beim Sponsoring möchte „bios“ noch ein wenig zulegen. „Wir wollen uns bekannt machen, indem wir auf ausgewählten Events unsere Produkte zur Verfügung stellen. Langsam und vorsichtig, nicht mit dem Werbe-Knüppel,“ sagt der Produktmanager.
Auch der Ökoprodukt-Hersteller Ökoland beschäftigt sich mit dem Thema Kinder und Jugendliche. „Kinder und Jugendliche haben heute einen großen Einfluss auf das Kaufverhalten ihrer Eltern. Zudem sind sie die Trendsetter von morgen und somit wichtig für die Weiterentwicklung der Umweltbewegung und der Perspektiven für den Öko-Landbau“, erklärt Patrik Müller, Geschäftsführer des Vertriebs bei Ökoland. Auch er weiß, dass Jugendliche vor allem ernst genommen werden wollen: „Die Botschaften an die Jugendlichen müssen tendenziell humorvoll und vor allem unbedingt ehrlich sein,“ ist der Vertriebschef überzeugt. „Junge Leute wissen häufig schon sehr viel und reagieren vor allem emotional sehr stark.“ Deshalb hat Ökoland zum Beispiel die Klimaschutzaktivitäten unter das Motto „Superwurst rettet die Welt“ gestellt. Für Jugendliche sei Klimaschutz ein existenziell wichtiges Thema und Ansatzpunkt für die Bio-Botschaft. Auch im Bereich der Wohltätigkeitsarbeit setzt Ökoland auf die Zielgruppe von morgen. Durch eine Kooperation mit den Mütterzentren der SOS-Kinderdörfer will der Öko-Hersteller auf die Belange von Kindern und Jugendlichen aus sozial eher schwachen Gesellschaftsgruppen aufmerksam machen und so auch die Aufmerksamkeit dieser Gesellschaftsgruppe auf Ökoprodukte lenken.
Die Andechser Bio-Molkerei will das Internet mit allen seinen Möglichkeiten verstärkt einsetzen, um die junge Zielgruppe direkt ansprechen zu können. „In gezielten Aktionen wollen wir den Jugendlichen zeigen, dass Bio bei uns handlich und lecker ist,“ erklärt Stefanie Miller, Ansprechpartnerin für den Bereich PR und Marketing der Andechser Molkerei. Sie zielt dabei auf die Joghurt- und Milchdrinks ab, die speziell als Snack für unterwegs entwickelt wurden. Frau Miller ist sich sicher, dass Jugendliche andere Botschaften brauchen, als die heutige Bio-Kundschaft. „Für junge Leute muss Konsum heute convenient sein“, also bequem, zweckdienlich, praktisch.
Bei der Bio-Supermarkt Kette „Alnatura“ wird zwischen den Ziel- und Altersgruppen nicht getrennt und somit auch keine spezielle Werbung gemacht, die Jugendliche ansprechen soll. Stefanie Neumann, verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sagt dazu: „Wir verstehen Altnatura als Marke, die alle Menschen ansprechen soll, nicht eine bestimme Gruppe wie Senioren oder Jugendliche. Sicher gibt es einige Artikel in unserem Sortiment, die für jüngere Menschen interessant ist. Diese bewerben wir aber nicht extra in diese Richtung.“
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