Im Rahmen eines europaweiten Forschungsvorhabens beschäftigen sich Tierärzte, Tierwissenschaftler und Ingenieure auch mit einem für Schweinehalter aktuellen Thema: Die Entwicklung eines Frühwarnsystems für Aggression bei Schweinen in Gruppenhaltung. Doch nicht jeder Praktiker ist von dem Forschungsansatz überzeugt.
In der EU leiden geschätzte fünf Prozent der landwirtschaftlich gehaltenen Schweine unter aggressivem Verhalten ihrer Artgenossen. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Im Rahmen des EU-weiten Forschungsprojekts „Bio-Business“, bei dem Biowissenschaftler und Ingenieure gemeinsam an der Verbesserung von Haltungsbedingungen für landwirtschaftliche Nutztiere forschen, wird Professor Jörg Hartung von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover mit seinen Partnern an der Entwicklung eines Frühwarnsystems für Aggressionen bei Schweinen arbeiten. Mit diesem System soll dem Landwirt direkt mitgeteilt werden, wenn sich eine aggressive Handlung ankündigt. Zudem wird ermittelt, wie häufig welche Tiere darin verwickelt sind und von welchem Tier die Aktion ausgeht. Dazu werden die Schweine ständig von einer Kamera überwacht und ihre Verhaltensmuster werden mit mathematischen Algorithmen beschrieben. Doch der Forschungsansatz möchte mehr, als nur Informationen über die Urheber von Aggressivität liefern: Er soll auch dabei helfen, Vermeidungsstrategien zu entwickeln. Professor Hartung erklärt: "Wir wollen wissen, ob es einen Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten und den Haltungsbedingungen und bestimmten Umwelteinflüssen gibt. Mit Hilfe der entwickelten Analyse und Sensortechniken wollen wir langfristig die Lebensqualität der Tiere erhöhen."
Weitere Methoden zur Beschäftigung von Schweinen
Das Problem der Aggressivität bei Schweinen beschäftigt die Wissenschaft nicht erst seit kurzem. In unterschiedlichen Forschungsvorhaben wurden Methoden entwickelt, um den Schweinen Ablenkungsmöglichkeiten zu bieten und somit ihren natürlichen Spieltrieb zu befriedigen. Auf der Versuchsstation für Tierhaltung und Tierzüchtung der Universität Hohenheim finden sich zum Beispiel Kratzbalken mit Beißkette, die im Rahmen des Nürtinger-Systems entwickelt wurden. Zudem beschäftigen sich die Mastferkel dort mit den sogenannten „Porky-Plays“, das sind mit Stroh gefüllte Spielautomaten, die zudem noch Beißhölzer und Ketten bieten. In früheren Versuchen konnten die Wissenschaftler zudem feststellen dass es wichtig ist, die Ferkel nach dem Absetzen von der Mutter möglichst in der Gesellschaft ihrer Geschwister zu belassen. Je mehr fremde Ferkel in den Mastgruppen zusammengesetzt werden, desto heftiger fallen die Rangkämpfe aus und Verletzungsgefahr und Stress steigen drastisch an. Ein weiterer Auslöser für Stress ist der Futterneid. In der Mastschweinehaltung kann diesem Problem mit Ad-Libitum-Fütterung begegnet werden, bei rationierter Fütterung wie zum Beispiel in der Muttersauenhaltung kann der Kampf am Futtertrog hingegen zu einem großen Stressfaktor für rangniedrigere Tiere werden.
Frühwarnsystem in der Muttersauenhaltung durchaus sinnvoll
Die Gesetzgebung stellt die Halter von Muttersauen vor eine neue Herausforderung. Denn ab dem 1. Januar 2013 ist die Einzelhaltung von Muttersauen im Wartestand ohne Auslauf verboten. Das heißt, dass die Tiere zukünftig ebenfalls in Gruppen gehalten werden. Markus Münch, Muttersauen- und Mastschweinehalter aus Rückertshausen, Kreis Schwäbisch Hall, meint dazu: „Es könnte bei Muttersauen durchaus zielführend sein, mit Hilfe eines Frühwarnsystems Sauen, die zu aggressivem Verhalten neigen, rechtzeitig zu erkennen und aus der Zucht zu nehmen. Voraussetzung für neue Investitionen sind dabei natürlich immer die Kosten und die Größe des Bestandes. Wenn die neue Technik bezahlbar ist, wäre ein Frühwarnsystem, das dem Landwirt tragbare Ergebnisse bietet, durchaus ein Thema.“ Der Landwirtschaftsmeister schränkt ein: „Allerdings dürften auf den Landwirt keine zusätzlichen Dokumentations- und Überwachungsarbeiten zukommen, das müsste die Technik vollständig selbst bieten.“ Jedoch ist die Selektion von Sauen, die für Gruppenhaltung nicht geeignet sind, heute schon gängige Praxis bei den Sauenhaltern. „Da kann das Auge des Tierhalters doch schon so einiges leisten“, ist Markus Münch überzeugt.
Auch das Haltungssystem ist ausschlaggebend dafür, ob Aggression zwischen den Tieren zu einem immer wiederkehrenden Problem wird. „Hält man die Tiere in festen Gruppen, kommt es nicht ständig zu einem Wechsel bei der Besetzung. Ist die Rangordnung hier einmal ausgemacht, hält sich die Aggression zwischen den Tieren in Grenzen. Jedoch bei großen Gruppen, bei denen immer wieder Tiere herausgenommen und neue Tiere eingegliedert werden, kann es zu dauerhaften Streitereinen kommen“, erklärt Münch. Deshalb werden zum Teil die Sauen, deren Ferkel frisch abgesetzt wurden, zunächst in einer sogenannten „Arena“ auf Stroh mit viel Platz gehalten, bis zumindest innerhalb dieser Gruppen die Rangordnung steht. Dann kommt diese Gruppe geschlossen in die große Gruppe der wartenden Muttersauen. Eine weitere Möglichkeit, rangniedere Tiere wie zum Beispiel Jungsauen vor zu großen Auseinandersetzungen mit aggressiveren Sauen zu schützen, ist die Haltung der Jungsauen in separaten Gruppen. Markus Münch ist überzeugt: „Rangordnungskämpfe sind eine natürliche Verhaltenform von Schweinen, es wäre nicht sinnvoll, dieses Verhalten gänzlich unterdrücken zu wollen. Doch die Selektion der Extreme ist in der Gruppenhaltung von Muttersauen durchaus zielführend.
Mastschweinehalter sind für neue Investitionen nicht zu begeistern
In Deutschland stellt die Aggression im Schweinestall jedoch nicht für jeden Schweinehalter ein derart großes ökonomisches Problem dar, dass er deshalb neu investieren würde. Landwirtschaftsmeister Eugen Bossler aus Bad Urach – Hengen hält 1000 Mastschweine und ist der Meinung, dass sich die stressbedingten Probleme in seinem Stall durchaus im Rahmen halten. „Wir füttern mit Breiautomaten ad libitum, das heißt, dass den Tieren nicht der Stress entsteht wie bei einer Flüssigfütterung“, ist er überzeugt. „Wenn die Ferkel auf unseren Betrieb kommen, werden sie in ihrem Wurf belassen, wir stellen dann aus etwa drei Würfen Gruppen mit 34 bis 36 Tieren zusammen. Das gibt am Anfang ein bisschen Stress, bis die Rangfolge geklärt ist, doch dann herrscht Ruhe.“ In Bosslers Abteilen beschäftigen sich die Schweine mit Beißketten und Holzklötzen, die sie herumschieben und zernagen können. „Natürlich brauchen Schweine eine Beschäftigung, dem tragen wir Rechnung,“ erklärt der Landwirt. Wenn er in einem Abteil Schwanzbeißen feststellt, streut er Kalk aus dem benachbarten Steinbruch ein. „Der Kalk lenkt die Tiere zumindest eine Zeit lang ab und der Blutgeruch wird überdeckt, so dass sie nicht in einen Blutrausch kommen.“
Eugen Bossler rechnet vor: „Wir bekommen zur Zeit für das Kilo Schweinefleisch 1,32 bis 1,34 Euro, ich kann da auf keinen Fall in technische Neuerungen investieren!“
Bleibt abzuwarten, in wie weit der zweite Aspekt des Forschungsvorhabens zu neuen Erkenntnissen führt. Gelingt es den Wissenschaftlern um Jörg Hartung mittels ihrer Analysen einen Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten und den Haltungsbedingungen und bestimmten Umwelteinflüssen zu erkennen, könnte den Landwirten hier gegebenenfalls eine Hilfestellung an die Hand gegeben werden, wie sie mit verbessertem Management die Lebensqualität ihrer Tiere erhöhen.
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