Ferkelkastration: Geeignete Alternativen gesucht

Die Diskussion um Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration ist in vollem Gange. Es empfiehlt sich sowohl für Schweinehalter, deren Berufsverbände und Tierärzte, als auch für die breite Öffentlichkeit, sich über dieses Thema zu informieren und sich mit den Alternativen zur betäubungslosen Kastration auseinander zu setzen, bevor Methoden per Gesetz empfohlen werden, die in der täglichen Praxis nicht oder nur schwer umzusetzen sind.

Männliche Ferkel werden kastriert, um die Ablagerung spezieller Geruchsstoffe im Fettgewebe geschlechtsreifer Eber zu vermeiden. In Hinblick auf den Tierschutzgedanken und die Wünsche der Konsumenten muss ein geeignetes Alternativverfahren zur betäubungslosen Ferkelkastration gefunden werden, das entweder dazu beiträgt, Schmerzen deutlich zu lindern oder den chirurgischen Eingriff ganz vermeidet. Zudem dürfen sonstige Interessen wie die Gesundheit der Verbraucher und Ferkelerzeuger und der Umweltschutz nicht beeinträchtigt werden. Der ökonomische Aufwand muss verhältnismäßig bleiben und es muss gewährleistet sein, dass das Verfahren praxistauglich ist.

Die Forschung unterscheidet zwei grundsätzliche Ansätze zur Vermeidung von geschlechtsspezifischem Geruch bei Ebern: Einerseits die chirurgische Kastration, andererseits die nicht chirurgischen Alternativen. Bei der chirurgischen Kastration wird intensiv an der Reduzierung des Kastrationsschmerzes mittels Betäubung beziehungsweise mittels schmerzstillender Mittel geforscht. Als Alternative zum chirurgischen Eingriff werden neben der Impfung gegen Ebergeruch (Immunokastration) und Ebermast auch Strategien verfolgt, bei denen in absehbarer Zeit nicht damit gerechnet werden kann, dass sie zu Praxisreife gelangen. Zu diesen Methoden gehört das Trennen der X- und Y-Chromosomen im Sperma (Spermasexing), um nur weibliche Nachkommen zu erzeugen und die Genmanipulation. Bei letzterem ist fraglich, ob diese Methode die Akzeptanz der Verbraucher gewinnen könnte.

Chirurgische Kastration mit Lokalanästhesie (örtliche Betäubung)

Diese vor allem in Norwegen vorwiegend verwendete Methode zur Schmerzausschaltung erfolgt durch Injektion eines Lokalanästhetikums in die Hoden. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass diese Art der Schmerzlinderung einerseits bei bis zu 10 Prozent der Tiere nicht dazu führte, den Schmerz während der Kastration auszuschalten. Zudem erweist sich die Injektion selbst als schmerzhaft. Die Wirkung hält maximal ein bis zwei Stunden an, die postoperativen Schmerzen der Tiere scheinen durch diese Art der Betäubung nicht verhindert zu werden. Eine zusätzliche Behandlung der Tiere mit Schmerzmittel ist ratsam, jedoch muss hier die Lebensmittelsicherheit berücksichtig werden. Durch die Verabreichung des Lokalanästhetikums und die anschließende Schmerzbehandlung entsehen dem Erzeuger Zusatzkosten von ca. 0,42 – 1,60 € pro Ferkel.

Chirurgische Kastration mit Injektionsanästhesie (Allgemeinnarkose)
Durch die Injektion eines Narkosemittels wird das Ferkel in Vollnarkose gelegt und dann die Kastration durchgeführt. Diese Anwendung birgt einerseits Gesundheitsrisiken für das Ferkel, weil es wegen der langen Nachschlafzeit (bis zu drei Stunden) Gefahr läuft, unterkühlt oder erdrückt zu werden. Außerdem führt die verlängerte Liegezeit zu Störungen bei der Wundheilung. Andererseits ist diese Methode mit etwa 0,5 Minuten erhöhtem Arbeitszeitaufwand und einem Kostenaufwand von 1,46 € pro Ferkel recht zeit- und kostenintensiv.

Chirurgische Kastration mit Inhalationsanästhesie (Allgemeinnarkose)
Grundsätzlich muss bei dieser Betäubungsmethode unterschieden werden, welches Narkosegas angewendet wird. In Frage kommt einerseits Isofluran, andererseits eine Mischung aus CO2 und O2. Bei der Betäubung mittels Inhalation von CO2/O2, wie sie überwiegend in den Niederlanden durchgeführt wird, zeigen die Ferkel deutlich erhöhte Stressreaktionen. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Tiere bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit große Erstickungsängste erleiden. Zudem starben bei wissenschaftlichen Untersuchungen 25 Prozent der Tiere, die länger als zwei Minuten dem Gas ausgesetzt waren.
Die Isoflurannarkose wird vor allem in der Schweiz umfassend eingesetzt. Beim Einsatz dieses Narkosegases zeigen die Ferkel während des Eingriffs deutlich weniger Stresssymptome, als bei der Verwendung von CO2/O2 oder bei einer Kastration ohne Betäubung. Da Isofluran allerdings nur schwach schmerzstillend wirkt, führt diese Methode zu vergleichbaren Schmerzen nach der Operation, so dass auch hier die zusätzliche Behandlung mit Schmerzmittel empfohlen ist. Allerdings gilt Isofluran als sehr gesundheits- und ozonschädlich und stellt deshalb hohe Anforderungen an die Umgehensweise und die technischen Voraussetzungen. Durch die hohen Kosten für den Narkoseapparat belaufen sich die Zusatzkosten pro Ferkel je nach Auslastung der Apparatur auf 1,3 € bis 5 €.

Schmerzlinderung mit Hilfe von Schmerzmitteln (Allgemeinanalgesie)
Wird 15 Minuten vor dem chirurgischen Eingriff ein Schmerzmittel verabreicht, führt das während und unmittelbar nach der Operation zu einer Schmerzreduktion, die laut wissenschaftlicher Studien der Wirkung der Lokalanästhesie gleichzustellen ist. Die Experten sind sich einig, dass die darauf folgende postoperative Behandlung des Tieres mit einem Schmerzmittel unverzichtbarer Bestandteil jeder Kastration sein sollte. Jedoch muss beim Einsatz von Schmerzmitteln die Lebensmittelsicherheit beachtet werden. Die Kosten einer Behandlung mit Schmerzmitteln liegen bei 0.19 € pro Tier.

Schmerzlinderung durch Vereisung der Haut

Diese Methode zur Schmerzlinderung bei der Kastration wird derzeit wissenschaftlich untersucht und weiterentwickelt. Hierbei wird die Haut am Hodensack mittels Kältespray anästhesiert, bevor die Hautschnitte durchgeführt werden. Die Samenstränge werden durchtrennt, ohne dass hierbei der Schmerz nochmals aktiv ausgeschaltet wird. Unmittelbar nach diesem Eingriff werden die Hoden mit einem Lokalanästhetikum besprüht, um den postoperativen Schmerz auszuschalten.. In den bisherigen Versuchen konnte festgestellt werden, dass die Schmerzen nach dem Eingriff deutlich gelindert waren. Der Einsatz dieser Methode bedeutet einen zusätzlichen Kostenaufwand von etwa 0,5 € pro Ferkel.

Nicht chirurgische Alternativen

Zur Zeit können nur die Impfung gegen Ebergeruch und die Ebermast als einzige praxisreife Alternativen zur Kastration betrachtet werden. Zu den Methoden, die noch Forschungs- und Verbesserungsbedarf haben, zählt das Spermasexing. Hierbei werden die Spermien mit X-Chromosom von denen mit Y-Chromosom selektiert, um anschließend die Sauen ausschließlich mit X-chromosomalem Sperma zu befruchten und somit nur weibliche Nachkommen zu erzeugen. Jedoch stehen bisher keine Apparate zur Verfügung, deren Kapazität für die benötigte Menge an selektiertem Sperma ausreichen würde. Außerdem wirkt sich das Sexing negativ auf die Spermiengesundheit aus, so dass hohe Verluste zu verzeichnen sind.

Impfung gegen Ebergeruch (Immunokastration)
Der in Deutschland seit Mai 2009 zugelassene Impfstoff „Improvac“ ist ein Eiweißstoff, der die Bildung von Geschlechtshormonen und von Androstenon in den Hoden unterdrückt. Die Injektion muss mit einer Sicherheitsspritze – um die Selbstinjektion des Landwirts zu vermeiden – zwei mal in einem Abstand von mindestens vier Wochen vorgenommen werden. Die zweite Impfung erfolgt vier bis sechs Wochen vor der Schlachtung. Der Prozentsatz der Tiere, bei denen die Unterdrückung der Sexualhormone nicht funktioniert und das Fleisch geruchsbelastet ist, liegt bei 0,4 Prozent. Dies entspricht in etwa dem Anteil an „Ausreißern“ bei der chirurgischen Kastration. Mit der zweiten Impfung setzt die Wirkung auf die Hoden der Eber ein, das heißt, dass die Tiere bis dahin geschlechtsspezifisches Eberverhalten wie gegenseitiges Aufspringen und Aggression zeigen. Deshalb sind die Anforderungen an die Mast der unkastrierten Eber bezogen auf Haltungsform, Gruppengröße und Tiergesundheit besonders hoch. Andererseits sind die Futterverwertung und der Magerfleischanteil bei geimpften Tieren besser als bei Kastraten. Nach einer Untersuchung in der Schweiz werden dadurch die hohen Impfkosten von etwa 3,50 € je Tier aufgefangen, so dass die Nettokosten für die Immunokastration bei etwa 1,40  € pro Tier liegen. Ob die Verbraucher das Fleisch geimpfter Tiere akzeptieren werden, ist noch zu prüfen.

Ebermast

Aus Sicht des Tierschutzes ist die Ebermast sicherlich die unumstrittenste Alternative zur betäubungslosen Kastration. Sie wird derzeit in Großbritannien, Irland, Portugal und Spanien praktiziert. Um die Geruchsbelastung zu verhindern, werden diese Tiere vor dem Eintritt der Geschlechtsreife bei einem Schlachtgewicht von etwa 70 kg geschlachtet. Vorteile der Ebermast sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht, dass der Zeit- und Kostenaufwand für die Kastration wegfällt, dass es zu keinen postoperativen Tierverlusten und Leistungseinbußen kommt und dass die Futterverwertung und der Magerfleischanteil höher sind, als bei weiblichen Tieren und bei Kastraten. Jedoch stellt die Ebermast höhere Anforderungen an Haltungseinrichtungen und Management. Zudem scheinen die Verbraucher in den Ländern, die bereits erfolgreich Ebermast betreiben, eine andere genetisch bedingte Wahrnehmungsfähigkeit für den geschlechtsspezifischen Ebergeruch zu haben, als die Verbraucher in Deutschland. Geruchsbelastetes Fleisch findet hier keine Akzeptanz. Und da auch bei einer Schlachtung von jungen Tieren nicht garantiert ist, dass das Fleisch nicht riecht, muss eine schnelle und verlässliche Geruchskontrolle am Schlachtband durchgeführt werden, um geruchsbelastetes Fleisch aussortieren zu können. Für diesen Zweck wurde eine „elektronische Nase“ entwickelt, die in der Lage ist, die Komponenten des Ebergeruchs zu erkennen. Allerdings sind die Kosten für diese Detektoren sehr hoch. Außerdem zeigen die Geräte bisher nur im Labor die gewünschte Genauigkeit, die elektronischen Nasen sind für den Einsatz in der Fleischproduktionskette, wie sie derzeit besteht, noch nicht praxistauglich.

Fazit

Das Thema ist komplex, die Anforderungen seitens Tier-, Gesundheits- und Umweltschutz, seitens Verbraucherwillen und Betriebswirtschaftlichkeit sind hoch. Sicherlich bleibt die chirurgische Kastration mittelfristig ein Mittel der Wahl. Auf jeden Fall sollte der Einsatz von schmerzstillenden Mitteln unmittelbar vor und auch nach der Kastration nach allgemeiner Fachmeinung ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Kastration sein. Welche Methode zur Vermeidung von Ebergeruch sich langfristig durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.


Infokasten: Chirurgische Ferkelkastration ohne Schmerzausschaltung
Deutschlands Ferkel sind bei ihrer Kastration im Durchschnitt vier Tage alt. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist dies vorbildlich und ein Beispiel für die hiesigen hohen Tierschutzstandards. Doch gilt die früher geltende Annahme, dass sehr junge Tiere weniger schmerzempfindlich seien, als widerlegt. Zahlreiche wissenschaftliche Studien beweisen, dass die Ferkel bei der Kastration ohne Schmerzausschaltung stark leiden und somit steht die zur Zeit noch gängige Methode stark in der Kritik.

Infokasten: Wie entsteht Ebergeruch?
Die Stoffe Adrostenon und Skatol stellen die Hauptbestandteile des Ebergeruchs dar. Adrostenon ist ein Sexualhormon, das im Hoden der Eber produziert und mit zunehmendem Alter des Tieres vermehrt im Fettgewebe abgelagert wird.
Skatol entseht im Dickdarm bei der Verdauung von Eiweiß. Während weibliche Tiere und Kastraten Skatol in der Leber abbauen, wird bei Ebern der Abbau durch die Geschlechtshormone blockiert, der Stoff wird ebenfalls im Fettgewebe abgelagert.

Infokasten: Rechtslage

Nach dem deutschen Tierschutzgesetz ist die Kastration männlicher Ferkel auf Basis der EU-Richtlinie 2001/88/EG nach dem siebenten Lebenstag ohne Betäubung verboten. Zudem muss der Eingriff dann von einem Tierarzt vorgenommen werden. Bis dahin darf der Landwirt selbst ohne Einsatz von Anästhesie und schmerzstillender Mittel kastrieren.

Infokasten: Entwicklung in Europa
In der Schweiz ist die chirurgische Kastration ohne Schmerzausschaltung seit 1. Januar 2009 generell verboten. Mittel der Wahl ist hier die Inhalationsanästhesie mit Isofluran.
In Norwegen dürfen Ferkel seit 2002 nur noch mit Betäubung kastriert werden. Hier wird vorwiegend die Lokalanästhesie mittels Injektion vorgenommen. Ein generelles Verbot der Kastration war in Norwegen ab 1. Januar 2009 geplant, wurde aber mangels Alternativen verschoben.
In Schweden gibt es starke politische Bestrebungen, die chirurgische Kastration zeitnah zu verbieten.
In den Niederlanden üben Tierschutz und Handel starken Druck aus, es wird nur noch Fleisch von betäubt kastrierten Tieren übernommen. Momentan wird dort überwiegend die CO2-Narkose durchgeführt. Ab 2015 soll gänzlich auf die Kastration für die heimische Fleischproduktion verzichtet werden.
Im Jahr 2008 wurden im Rahmen des EU-Projekts PIGCAS (PIGlet CAStration) die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den verschiedenen Kastrationsmethoden gesammelt, die Meinungen der beteiligten Interessensgruppen in den Mitgliedstaat eingeholt, die ökonomischen Auswirkungen diskutier und eine Gesamtbewertung der Verfahren vorgenommen. Der PIGCAS-Bericht ist eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die weitere, alle Länder gleich betreffende, Vorgehensweise der EU.

Quellen:
Heinritzi, K. et al. (2008): Alternativen zur konventionellen Ferkelkastration in Europa – Stand der Forschung. Praktischer Tierarzt 89 (8), 654-663

Pflanz, W., LSZ Boxberg (2008): Neue Wege für die Kastration männlicher Ferkel.
www.landwirtschaft-bw.info/servlet/PB/Show/1229307_11/LSZ_Ferkelkastration.pdf


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